Predigt von Pfr.em. Mag. Hans Hubmer am Karfreitag, 18. April 2025,  in der evangelischen Kirche Eferding

 

Predigttext    Johannes 19,16-30  Eferding, 20250418

Pilatus überantwortete Jesus, dass er gekreuzigt würde.

Sie nahmen ihn aber, und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha.

Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.

Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.

Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: “Schreib nicht: Der König der Juden, sondern, dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.”

Pilatus antwortete:

“Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.”

Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.

Da sprachen sie untereinander: “Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll.”

So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten.

Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.

Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: “Frau, siehe, das ist dein Sohn!”

Danach spricht er zu dem Jünger: “Siehe, das ist deine Mutter!”

Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: “Mich dürstet.”

Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund.

Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: “Es ist vollbracht!” und neigte das Haupt und verschied. Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.

 

Liebe Gemeinde unter dem Kreuz Jesu Christi!

Weit sind die Hände unseres Heilands J.chr. ausgespannt für uns Menschen, für dich und mich. Offen sind sie, angenagelt, schmerzhaft fixiert, aber offen für die ganze Welt, damit wir schauen und staunen, dass selbst im Hass, der Jesus entgegenschlägt, im unvorstellbaren Leid Gottes am Kreuz, in den letzten Stunden Jesu mit qualvollen Schmerzen eines bleibt, unverrückbar feststeht: Gottes Arme sind offen für uns. Selbst im Leiden bleibt Er uns zugewandt, ja vollendet unter dem Gegenteil seine Liebe zu uns, die angenagelt leidet und stirbt. Die ausgebreiteten Hände unseres Heilands stehen für die unglaubliche Zuwendung Gottes zu uns oft Gottesfernen Menschen. Sie zeigen die Güte Gottes, mit der Er trotz allem unserer Welt begegnet. Sehet, welch´ein Mensch, sehet, welch´ ein Gott. Darum beginnt der Pfarrer den Gottesdienst mit ausgebreiteten Händen. Deshalb feiere ich so gerne Gottesdienst, weil am Anfang genau genommen schon alles gesagt, zugesagt wird: Der Herr sei mit euch. Und mit deinem Geist. Gottes Arme sind offen für uns. Das ist das Eine.

Aber auch die andere Seite von uns Menschen wird sichtbar. Die abgründige Tiefe in unserem Mensch-Sein, die Lust am Leiden und Sterben eines Menschen, der Menge Schrei „Kreuzige ihn“. Hier ereignet sich ein Justizmord, hier löst man kaltblütig ein Problem. „Es ist besser, dass einer stirbt, als dass das ganze Volk verderbe“ sagen sie. Jesus hat die religiösen Kreise zu sehr gestört und aufgerüttelt, und die weltliche Macht hat geholfen, diesen Menschen zu vernichten. Der Mensch ist dem Menschen auch ein Wolf. Wie schnell kann Begeisterung und Jubel in Verachtung, Verdammung und Ablehnung kippen! Eine schnelle kaltblütige Hinrichtung soll Ruhe einkehren lassen. Das ist das Andere.

Zwei Gedanken möchte ich euch heute mitgeben, l.G. unter dem Kreuz Jesu:

  1. Unter dem Kreuz unseres Heilands zu stehen, ist unser Glück!
  2. Unter dem Kreuz Jesu zu stehen, ist eine große Ernüchterung!

 

Beginnen wir heute mit dem zweiten Gedanken: Unter dem Kreuz Jesu zu stehen, ist eine große Ernüchterung!

Genau diese Ernüchterung spüren wir in unserer Welt, denn der Wind in der Weltgeschichte hat sich gedreht. Unverhohlen sprechen große Mächte wieder aus, worum es ihnen geht: um Machtausübung, um Gebietserweiterung, um Einfluss, den man notfalls mit Gewalt durchsetzt. Dabei verwendet man Lügen und falsche Fakten, Drohungen und Desinformation, wie es einem gerade gefällt, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Und weil das eigene Land dadurch stärker erscheint, jubeln nicht wenige dem obendrein noch zu, weil sie selber so auf den Tisch hauend gerne handeln und regieren möchten. Verträge und Vereinbarungen zählen nicht mehr, das Recht wird gebogen und ausgehöhlt. Wer nicht mitmacht, wird bestraft, entlassen und verhöhnt. Die Respektlosigkeit kennt keine Regeln. Bewusst wird ein Durcheinander geschaffen.

Als Christen erinnern wir uns daran, dass der Teufel, der Diabolos, wörtl. übersetzt, „der Durcheinanderwerfer“ heißt! Wenn vieles durcheinander geworfen wird, wenn Wahrheit kaum mehr zählt, dann werden unsere Entscheidungen schwierig, dann wird alles nicht einfacher. Und weil Gesetze und Rechte mehr an Bedeutung verlieren, kann man sich schwer darauf berufen. Gott sei Dank läuft es bei uns in Europa noch anders, aber auch hier nehmen sich nicht wenige ein Vorbild an diesen Modellen.

Selbst bestimmte Worte verschwinden aus unserem Sprachgebrauch. Worte und Inhalte, die unsere Gesellschaft stark gemacht haben. Sie werden immer weniger verwendet, obwohl ein menschliches Leben ohne sie immer ungemütlicher wird. Worte wie Barmherzigkeit, Hilfe für die Schwächsten, das Denken an das Leid der Flüchtlinge, ihre Hoffnungen und Sehnsüchte, Entwicklungshilfe, Nachhaltigkeit in der Wirtschaft, Respekt vor der Meinung anderer, Sorge um Gottes Schöpfung, Klima- und Umweltschutz – sie werden viel weniger verwendet und teilweise lächerlich gemacht.

Als die anglikanische Bischöfin von Washington, Mariann Edgar Budde, in einem ökumenischen Gottesdienst zur Amtseinführung den amerikan. Präsidenten gebeten hat, doch Barmherzigkeit mit Flüchtlingen und anders denkenden Menschen zu zeigen, die christliche Tugend des Erbarmens walten zu lassen und sie einmahnte, hat jener tags darauf nur mit Spott und Häme reagiert. Die deutlich vorgetragene Bitte an ihn prallte einfach ab. Er klassifizierte sie als eine Person, die ihn hasst. Jede Kritik wird bestraft und lächerlich gemacht. Da zeigen sich menschliche Kälte und Ablehnung.

Doch, l.G. unter dem Kreuz Jesu, wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir heute mit dem Finger auf andere zeigen. Nein, heute am Karfreitag müssen wir bei uns anfangen. Ablehnung, Bosheit und manchmal sogar Hass zeigen sich doch auch in unserem Leben! Auch wir ziehen manchmal eine Spur der Verachtung anderer, auch wir machen anderen Menschen Angst; auch uns fällt es schwer, anders Denkende zu akzeptieren, auf Menschen zuzugehen, die uns nicht mögen, die in einer Krise fest stecken, die leiden oder im Sterben liegen, auch wir haben unsere Ecken und Kanten. Auch wir suchen gerne in erster Linie unseren eigenen Vorteil. Machen wir doch nicht den Fehler, dass das bei frommen Menschen alles ganz anders wäre! Jede und jeder von uns muss einmal Rechenschaft ablegen für jedes Wort, das wir gesagt haben! Selbst unter dem Deckmantel der Frömmigkeit passieren schlimme Dinge! Das steht schon in der Bibel, ein Petrus zeigt uns, wie verkehrt auch ein frommer Mensch sein kann. Und das nicht nur einmal. „Wenn du dich dereinst einmal bekehrst, dann stärke deine Brüder und Schwestern“, sagt der Herr zu ihm. Nein, nichts schützt uns davor, dem Nächsten unter uns ein Wolf zu werden, wir sind sündhafte Menschen, und zwar mehr als wir wissen und uns lieb ist, unter unseren Worten und Taten leiden andere. Halten wir doch diese unangenehme Wahrheit einmal aus. Denn unter dem Kreuz Jesu tritt die große Ernüchterung ein, dass wir Sünder sind, ob wir wollen oder nicht, dass wir Schaden anrichten, den wir nicht immer gut machen können, dass wir erlösungsbedürftige Menschen sind, dass wir nicht da sind, wenn wir gebraucht werden, dass wir versagen und Beziehungen nicht gelingen. Der unter der abgründigen Tiefe der Menschen leidende Jesus zeigt uns unsere Abgründe auf, unsere Verlorenheit, unsere Schuld. Aber der leidende und sterbende Herr hält seine Arme ausgebreitet. Das ist das Wunder von Golgatha, das Wunder des Kreuzes, das bis zum Ende der Welt erzählt werden muss.

Und Gott hat uns geholfen, liebe Gemeinde! Gott selbst ist in die Bresche gesprungen: der Sohn Gottes, unser Heiland, hat uns ertragen, auch alles Abgründige, Wölfische, Zerstörende an uns. Die Liebe leidet, und wie, doch sie hält das durch, bis zum Ende. Darum hat Gott auch Jesus erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, und diesem Namen müssen sich alle Menschen einmal beugen. Das Wunder auf dem Kreuz von Golgatha hat der Evangelist Johannes – als einziger der vier Evangelisten – mit dem letzten Wort Jesu zusammen gefasst: Es ist vollbracht. Die Liebe Gottes ist größer als alles, als unsere  Verkehrtheiten und Sünden, unsere Abgründe und unsere Torheiten. Darum ist es nun so: Unter dem Kreuz unseres Heilands zu stehen, ist unser Glück! Darum ist der Karfreitag ein so großer Feiertag.

Nirgends sonst als wie hier am Kreuz können wir die Tiefe, die Weite und die Höhe der Liebe Gottes und des Erbarmens Jesu Christi erkennen. Das übertrifft unsere Vorstellungskraft! In geradezu unglaublicher Weise lässt Gottes Liebe sich alles gefallen: bespuckt, lächerlich gemacht, geschlagen, mit einer Dornenkrone bekrönt, aller Kleider entledigt und um Jesu Gewand wird gewürfelt. „Hilf dir selber, der du anderen geholfen hast“ schreien die Leute. Doch Jesu Hände bleiben für uns ausgebreitet, angenagelt und ausgebreitet: nicht einmal seine Tötung kann ihn davon abhalten. Der berühmte Pfarrer der Diakonie von Bethel, Friedrich von Bodelschwingh, zum Geschehen am Kreuz gesagt: „Das Kreuz ist die große Urkunde der ewigen Barmherzigkeit Gottes.“ Am Kreuz umfasst Gottes Liebe unsere ganze Existenz, damit wir uns von dieser Sonne der Liebe Gottes bescheinen und umfassen lassen und in ihr leben und Leben in Ewigkeit geschenkt bekommen. Da ist unser Platz, liebe Gemeinde, in der Kirche unter dem Kreuz, da ist der Platz der Erlösten und Gefundenen, da sind wir nach Hause gekommen, das hat Christus unserer aus tausend Wunden blutender Welt zugesagt, dir und mir, und allen, die es hören und dafür danken. Unüberbietbar sichtbar am Kreuz, damit wir froh und dankbar werden und uns nichts mehr scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist.

Und weil die Liebe niemals folgenlos bleiben kann, hat sich unser Heiland auch seiner weinenden Mutter zugewandt. Noch vom Kreuz aus kümmert ER sich um den Schmerz und die Trauer, der seine Mutter Maria ausgeliefert sein wird. Jesus verweist seinen Jünger Johannes an seine Mutter – und umgekehrt. Beide, Jesu Mutter und der Lieblingsjünger, werden nach dem Tod Jesu verwaist zurückbleiben. Die Lücke, die der Verlust des Sohnes, reißt, wird nicht zu schließen sein. Doch Jesus verweist die beiden aufeinander: „Frau, siehe, das ist dein Sohn!“ „Siehe, das ist deine Mutter!“ sagt er zu ihnen. So bleiben die beiden nicht allein in ihrem Schmerz und ihrer Trauer. Noch im Sterben zeigt Jesus, dass sein Auftrag die Liebe ist, die Freundschaft, die Gemeinschaft, die Menschenfreundlichkeit. Nicht alles Unglück auf der Welt ist zu verhindern. Aber kein Mensch soll im Unglück allein und verwaist sein. Wir sind von Jesus aneinander gewiesen. Als Geschwister, als Freunde, als Gefährtinnen und Gefährten Jesu sollen wir einander begegnen und so Gemeinde und Kirche sein. Keiner soll allein bleiben, wenn ihn Unglück und Schmerz trifft – so erfüllen wir den Willen Jesu. Wer seinen Nächsten liebt, der liebt auch Jesus, der liebt auch Gott. Denn wer liebt, der verherrlicht Gott.

Ja, liebe Gemeinde: Weit sind die Hände unseres Heilands J.Chr. ausge-spannt für uns Menschen, für die ganze Welt, für dich und mich. Das gilt in Ewigkeit! Wenn wir in dem sterbenden und leidenden Jesus den Christus Gottes gefunden haben, dann sind wir schon am Ziel unseres Lebens, dann haben wir Heimat und Geborgenheit, weil uns nichts mehr scheiden kann von der Liebe Gottes, weil wir sie weiter geben wollen und geben, auch  wenn wir manches dafür einstecken müssen. Das ist doch unser Lebensauftrag, die Liebe weiter zu geben, gerade dort, wo sie gebraucht wird. Und nicht Hass, Ablehnung, Verwirrung und Bosheit. Noch einmal F. v. Bodelschwingh: „Wo Barmherzigkeit, Liebe und Mitleid wohnen, da wohnt auch Gott.“

Wer Gott wirklich erkennen will, muss auf das Kreuz Jesu schauen. Das lehrt uns Johannes, der schon von der Auferstehung her denkt, der die Zeiten übergreift und deswegen Jesus die Worte in den Mund legt: Es ist vollbracht.

Weil es vollbracht ist, lauten meine zwei Gedanken von heute:

  1. Unter dem Kreuz unseres Heilands zu stehen, ist unser Glück!
  2. Unter dem Kreuz Jesu zu stehen, ist eine große Ernüchterung!

Gott segne uns diesen Karfreitag. Amen.

 

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